von Kathy Ireland
(Bitte beachtet auch die Diskussion zu diesem Text im Wiki und im Forum! Der Text wird von vielen (auch von JL selbst) als kritisch empfunden, andere jedoch finden ihn sehr gut!)
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Neugeborene und kleine Säuglinge sind so unkompliziert: einfach stillen, tragen, mit ihnen das Bett teilen und auf ihr Schreien rasch reagieren. Aber was machst Du, wenn ein älteres Kind ein jüngeres Geschwisterkind verprügelt? Wenn ein zweijähriges Kind sein Frühstück mit Geschirr auf die Erde schmeißt? Ich habe mit meinen zwei Kindern, 16 Monate und dreieinhalb Jahre alt, oft Antworten auf derartige Fragen gebraucht. Andere Mütter aus dem Netzwerk haben mir dabei geholfen zu lernen, wie ich auf ihr Verhalten reagieren und mir dabei ihren angeborenen Gemeinschaftssinn und ihren Wunsch, das Richtige zu tun, zu nutze machen kann. In diesem Artikel finden sich „Richtlinien“ oder hilfreiche Hinweise, auf die ich häufig zurückgreife. Sie funktionieren hervorragend bei jüngeren Kindern.
Jean Liedloff rät „bestrafe nicht und sei nicht nachgiebig. Das Schlimmste für ein Kind ist es, aus einer gemeinschaftlichen Handlung ausgeschlossen zu werden“. Wenn ein Kind sich falsch benimmt, ist es am besten, entweder das Kind von der unmittelbaren Situation zu entfernen oder sich selbst zurückzuziehen. Das Wichtigste ist dabei, dies in einer wertfreien Art und Weise zu tun: keine ärgerlichen Worte oder gereizte Körpersprache. Tatsächlich besteht überhaupt keine Notwendigkeit, irgendetwas zu sagen. Achte in jedem Fall darauf, das Kind sanft zu behandeln und Deinen Gesichtsausdruck neutral zu halten. (Das kann schwierig genug sein, vor allem am Anfang!). Möglichkeiten, ein Kind aus einer Handlung zu entfernen, sind zum Beispiel: das Kind auf die andere Seite im Raum tragen, das Kind außerhalb des Raumes absetzen, das Kind in einen anderen Raum tragen und die Tür schließen. Manchmal ist es einfacher, Dich selbst zu entfernen: geh’ auf die andere Seite des Raumes, verlasse den Raum, schließ’ Dich in einem anderen Raum ein.
Wenn sich ein Kind daneben benimmt, frage Dich zuerst, welche Wirkung das Verhalten auf Dich hat. Wenn Du unbeeindruckt bleibst – keine ärgerlichen Worte, ärgerliche oder frustrierte Körpersprache, keinen verzweifelten Gesichtsausdruck – wenn Du ruhig und neutral bleibst, ist es für Kinder uninteressant, sich schlecht zu benehmen und sie werden damit aufhören. Sei auf ein paar Tränen am Anfang vorbereitet, wenn Du dem Kind nicht seinen Weg durchgehen läßt, aber wenn Du ruhig und unbewegt bleibst, das Kind im wesentlichen nicht beachtest, hört es gewöhnlich innerhalb von Sekunden auf zu schreien. Bei meinem ältesten Kind reicht es meist, wenn ich kurz aus dem Raum gehe und für ein paar Minuten etwas woanders im Haus mache. Je öfter Du dies machst, umso mehr sieht das Kind, daß Du wirklich weißt, was du tust und daß Du Deine Meinung nicht ändern wirst, nicht „interessant“ wirst durch Dein Verhalten, und umsoweniger Fehlverhalten und Geschrei wird es geben.
Ich habe die folgende Liste an meinem Kühlschrank kleben und greife darauf von Zeit zu Zeit zurück. Diese „Mahnungen“ sind ein Auszug aus dem, was ich von Jean und anderen Netzwerkmitgliedern, vor allem Bette Kowalski und Donna Logan, gelernt habe.
- Wiederhole Dich nicht
- Nörgle nicht
- Bitte nicht
- Schimpfe nicht
- Laß’ dich nicht in Auseinandersetzungen verwickeln
- Vermeide Entschuldigungen1)
- gib’ keine übermäßigen Erklärungen
- Sei selbstsicher und ruhig
- Bleibe standhaft
- Keine Bestechungsversuche
- Sei überzeugt davon, daß sie das Richtige tun wollen
- vergiß’ nie, daß sie über einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn verfügen
- Laß’ sie helfen und dabei selbständig handeln
- Schauspiele, bis die richtigen Antworten ganz natürlich kommen
- Sei nicht überfürsorglich
- Achte auf verborgene Erwartungen
- Bitte nicht, gib’ Anweisungen in einem neutralen Ton
- Flüstere Berichtigungen, wenn andere Leute dabei sind
- Folge nicht ihnen, sondern laß’ sie Dir folgen
- Fördere Zusammenarbeit anstelle von Konkurrenz
- Sei traurig anstatt wütend
- Achte auf Deinen Tonfall!
- Sprich mit sachlicher Stimme
- Sprich’ nicht zuviel
- Tue nichts, was Du nicht tun willst!2)
- Die Kinder sollten sich immer willkommen fühlen, etwas mit Dir zu machen
- Sei ihre Verbündete
- Behandle sie mit dem Respekt, mit dem Du einen Erwachsenen behandeln würdest!
Du fragst dich vielleicht, warum ein Kind sich überhaupt falsch verhält, insbesondere, wenn Du Continuum Prinzipien von Geburt an angewendet hast. Was Kinder wirklich wollen und brauchen sind Erwachsene, die ruhig und sicher sind in dem, was sie tun. Wenn Kinder das Gefühl haben, daß Du Dir nicht sicher bist (was durch Bitten, Entschuldigungen und Wiederholungen erkennbar wird), werden sie Dich solange schubsen, bis Du sicher stehst. Unglücklicherweise drängeln sie oft solange, bis die Eltern die Geduld verlieren und ihren Willen in feindseliger Weise demonstrieren. Leider wirkt es oft, als verhielten sich Kinder so, um uns ihren Willen aufzuzwingen, dabei wollen sie in Wirklichkeit, daß wir die Führung übernehmen. Kinder werden uns testen und solange drängeln bis wir uns sicher sind, dann erst können sie sich sicher und geborgen fühlen. Selbst wenn Du eine Zeit lang alles richtig gemacht hast, werden sie Dich hin und wieder prüfen, um sicher zu gehen, daß noch alles in Ordnung ist. Hier sind einige Beispiele, wie das bei uns zuhause funktioniert hat.
Süßigkeiten
Einen Tag fragte meine Tochter „Kann ich Süßigkeiten haben?“ Ich sagte ruhig „nein“ in völlig normalem Tonfall. Sie fing an zu jammern und wiederholte ständig “ Ich will Süßigkeiten!“. Ich ließ mich nicht darauf ein, zu wiederholen „Nein, Du kannst keine Süßigkeiten haben!“. Wenn ich das täte, würde das solange hin und her gehen bis ich schließlich platzen und sie anschreien würde. Wenn ich mich darauf einließe, würde die Sache außerdem interessant für sie und dieses Schema würde den ganzen Tag über bei anderen Gelegenheiten wiederholt werden. Je nach dem Grad ihres Gejammers bleibe ich entweder im gleichen Raum, sie freundlich ignorierend (was ihr Verhalten häufig schnell beendet, weil es keinen Spaß macht, damit weiterzumachen, wenn man keine Antwort erhält) oder ich wechsle in einen anderen Raum (ruhig und in völlig normaler Weise) und konzentriere mich auf etwas dort (eine andere Netzwerk-Mutter fängt an diesem Punkt an, leise zu summen). Eine Frage zu einer völlig anderen Sache in normalem Ton beendet auch oft ihre Quengelei. Diese drei Antworten bzw. ihre Verknüpfung zeigen ihr, daß ich meine Meinung nicht ändern werde (bleib’ standhaft), daß ich mich nicht auf eine Auseinandersetzung einlassen werde (vermeide Auseinandersetzungen) und daß ich weiß, was ich tue (achte auf den Tonfall). Die selbstsichere Wirkung ist ruiniert, wenn ich „Nein“ in einem gereizten Tonfall sage, oder „NEIN, UND FRAG’ MICH JA NICHT NOCHMAL!“ (Es ist leicht, Beispiele für falsche Antworten zu finden, weil ich sie so oft gegeben habe).
Wenn Du wirklich davon überzeugt bist, daß Dein Kind das Richtige tun will (was sie wollen), wird alles einfacher und Du mußt nicht mehr jedes Mal daran denken. Bis dahin mußt Du schauspielern! Auch ich muß noch manchmal schauspielern, vor allem an Tagen, wo ich mir zuviel vorgenommen habe oder müde bin. Jean sagt: „Es ist viel einfacher, es richtig zu machen als falsch. Die Schwierigkeit besteht darin, Deine Gewohnheiten zu ändern. Wenn Du einmal auf den Geschmack gekommen bist, kommt es automatisch. Wir müssen die Theorie in Ordnung bringen, dann die Praxis und schließlich die Gewohnheit ändern durch bewußte Wiederholung, bis es von alleine kommt…Wenn Du wirklich und wahrhaftig von dem Kind erwartest, daß es sich sozial verhalten will, dann wird sie dies tun.“
Schlagen
Manchmal schlägt mein älteres Kind das jüngere (bevor das Jüngste geboren war, dachte ich, daß dies niemals passieren würde). Meine spontane Reaktion war gewöhnlich, die Schlägerin anzubrüllen oder in hartem Ton anzusprechen. Dann ist mir aufgefallen, daß sie tatsächlich grinste, wenn ich zur Tür hereinrauschte, gespannt auf meine Antwort. Das hat mich dann noch mehr geärgert. War meine Antwort etwa interessant für sie? Aber hallo! Ich mußte also einen Weg finden, uninterssant zu sein. Wenn ich jetzt einen Schrei von nebenan höre, warte ich erstmal ab, um herauszufinden, ob es sich bloß um einen Schrei der Entrüstung handelt, der nach ein bis zwei Sekunden endet. Trifft das zu, mache ich überhaupt nichts. Wenn es sich nach etwas Ernsthafterem anhört, gehe ich hin, nehme das verletzte Kind und tröste es, trage sie aus dem Raum, ohne das andere Kind zu beachten. Das hat den Schlägereien ein rasches Ende bereitet, die nur meine „interessante“ Reaktion zum Ziel hatten. In anderen Fällen schubst die Ältere die Jüngere weg, um sie von ihren (der älteren) Spielsachen fernzuhalten. Es ist interessant zu beobachten, wie sie die Situation handhabt. Wenn sie etwas baut und ihre Schwester mitmachen will ( was sich normalerweise zerstörerisch auf das Bauwerk auswirkt), sagt sie zuerst vielleicht: „Meg, laß’ das“. Das Baby ist noch nicht alt genug, hierauf zu reagieren, sodaß Kelsey ihr als nächstes ein Stück Lego oder ähnliches gibt und sagt „Hier, Du kannst mit dem spielen.“ Wenn das auch nicht fruchtet (Meg möchte normalerweise mit genau den Stücken spielen, die Kelsey hat), versucht sie, sie hochzuheben und in einen anderen Teil des Raumes zu bringen (schleppen). Das zu beobachten, ist ziemlich lustig, da nur rund 5 Pfund Unterschied zwischen den beiden liegt. Kinder imitieren alles, sogar wie wir darauf reagieren, wenn sich ein Kind falsch verhält! Wenn Meg trotzdem zurückkommt und das Konstrukt (Zeichnung,, Puppe, Puzzle o.ä.) zerlegt, schubst Kelsey sie vielleicht weg. Ich habe das ganze Szenario ausreichend beobachtet und daher weiß ich, daß ich nicht wirklich sagen kann, was genau passiert ist, wenn ich in einem anderen Raum bin und nur Meg’s empörten Schrei von nebenan höre. Am Anfang wurde ich immer noch wütend auf Kelsey und stampfte in den Raum mit „Laß’ Deine Schwester in Ruhe!“. Meistens ist das nicht nur unfair (gemessen an ihrem Alter hat sie die Situation gut gemeistert), es führte auch zu nichts (außer, daß ich Dampf ablassen konnte). Ich erinnerte mich daran, daß Kinder im Grunde das Richtige tun wollen und begann, Trauer statt Wut zu zeigen (dies ist auch besser, wenn ein Kind etwas zerbricht oder ein Chaos veranstaltet). Kelsey verfeinert auch die Kunst der Ablenkung (Meg schnell etwas anderes geben, damit sie Kelseys Dinge vergißt), die so gut bei Krabbelkindern funktioniert. Und manchmal bittet sie mich, Megan in einen anderen Raum mitzunehmen. Woran wir noch arbeiten, sind die Momente, wenn Meg Kelsey etwas wegnimmt und Kelsey spontan mit Schlägen antwortet. Es ist schwierig, einer Dreijährigen beizubringen, bedacht zu handeln und nicht den Körper antworten zu lassen. 3)
Zerbrechliches
Manchmal sind wir in Haushalten, die zerbrechliche Dinge in erreichbarer Entfernung für die Kinder haben. Jean empfiehlt: „Da Kinder das Richtige tun wollen, gib’ ihnen die Informationen, die sie brauchen, um sich richtig zu verhalten.“ Seit Kelsey 2 Jahre alt ist, reichte es aus, ihr zuzuflüstern (um sie nicht vor anderen Leuten in Verlegenheit zu bringen): „Das ist zerbrechlich, geh’ sanft damit um,“ oder „stell’ das wieder hin“. Wenn wir woanders eingeladen sind, möchte sie sich ganz offensichtlich richtig verhalten, vor allem, wenn sie die Jüngste ist. Es scheint, daß sie sich einpassen will und daß sie deshalb bemüht ist, alle Regeln zu lernen, die zum Gesellschaftsleben dazugehören (es ist köstlich, zu beobachten, wie sie an der Haustür steht und zu jemandem, der unser Haus verläßt, sagt: “ Danke für den Besuch!“ Kinder machen alles nach!). Kelsey versteht „zerbrechlich“, da ich ihr gezeigt habe, wie vorsichtig ich zerbrechliche Dinge behandle und es sie ebenfalls tun ließ, als sie sich für zerbrechliche Dinge auf unserem Kaminsims interessierte. Ich habe ihr das nur einmal gezeigt und seitdem hat sie es immer so gemacht. Mit Meg, die alles anfaßt, was in ihrer Reichweite ist, um mehr über die Welt um sie herum herauszufinden, reicht es nicht, „faß’ das nicht an, es ist zerbrechlich“ zu sagen, da das Lernen von Feinheiten des Gesellschaftslebens vor dem Reiz der physischen Entdeckung verblaßt. Bei ihr nehme ich das Ding einfach weg oder stelle es außer Reichweite. In diesem Alter ist es einfacher, Leute nur draußen auf der Veranda zu besuchen oder dort, wo es wenig Zerbrechliches gibt. Ich weiß, es gibt Leute, die es vorziehen, Säuglingen oder Krabbelkindern beizubringen, was sie nicht berühren sollten und die Zerbrechliches überall in Reichweite stehen haben, aber ich bin dazu zu faul und ziehe es vor zu warten, bis sie alt genug sind zu verstehen, daß Sachen unterschiedlich behandelt werden.
Unwillkommene Wünsche
Kelsey bittet mich hin und wieder, etwas zu tun, wenn ich gerade beschäftigt bin und damit nicht aufhören möchte oder Megan möchte nachts öfter gestillt werden, als ich es möchte. Es erfordert etwas Augenmaß, hiermit umzugehen. Wenn sie dies wirklich brauchen (z.B. Megan bekommt einen Zahn und fühlt sich unwohl dadurch), dann mache ich, was sie wünschen, denn das ist sehr viel einfacher für mich als ihr Bedürfnis auf andere Weise zu befriedigen. Aber manchmal (und als Eltern kann man das unterscheiden) ist es kein richtiges Bedürfnis sondern sie testen Dich nur wieder. In solchen Fällen antworte ich in sachlichem Ton: „Jetzt nicht, wenn das Abendessen im Ofen ist.“ oder etwas ähnlich kurzes und wenn Kelsey dann in weinerlichem Ton fragt: „Warum?“ oder ihren Wunsch wiederholt, ignoriere ich sie einfach und fahre mit meiner Tätigkeit fort. Nach ein paar Sekunden sieht sie, daß ich meine Meinung nicht ändern werde oder mich auf eine Auseinandersetzung einlasse und redet entweder über etwas anderes oder sucht sich eine andere Beschäftigung. Es ist wichtig, daß ich keine langen Erklärungen abgebe (Nicht jetzt, weil… aber ich mache es gerne wenn….) weil mich das unsicher erscheinen läßt. Wenn Kelsey nachts an die Brust wollte (und ich sicher wußte, daß sie weder zahnte noch krank war), würde ich z.B. sagen: „Nicht jetzt, morgen wieder“ oder einfach „nein“ (immer in ruhigem Ton) und entweder ihren Rücken streicheln oder sagen „komm’, kuschel mit mir“, sie in die Arme nehmen und wir würden beide wieder einschlafen. Seit Megan 1 Jahr alt geworden ist, hat sie viele Backenzähne bekommen und entweder ich stille sie nachts wann immer sie will (das scheint manchmal die ganze Nacht zu sein) oder ich bitte meinen Mann, sie im Haus herumzutragen, bis sie einschläft, wenn ich mich absolut „ausgesaugt“ fühle (ich fühle mich nicht wohl dabei, ihr Drogen oder Arznei zu geben, um den Schmerz zu betäuben). Wichtig ist, daß ich nichts tue, was ich wirklich nicht will, da sie mein „Genervtsein“ spüren und dann wütend auf mich werden, weil ich sie dazu bringe, mich zu ärgern (vgl. hierzu auch Bette Kowalskis Artikel in Rundbrief 5).
Respekt
Ich habe mich dabei ertappt, meiner Dreijährigen Dinge zu sagen oder anzutun, über die ich entsetzt wäre, wenn mein Mann sie mir antun würde. Sachen wie, sie mit lauter Stimme in aller Öffentlichkeit zu korrigieren oder in ihrer Anwesenheit mit anderen über sie zu sprechen, als wäre sie nicht vorhanden. Ich finde, daß vor allem Verwandte dies tun: „Mag sie dies…“, „Wie ißt sie?“, „Wann geht sie ins Bett?“ etc. Ich solchen Fällen sage ich einfach: „Kelsey, warum beantwortest Du das nicht selbst?“ oder einfach „Kelsey?“ und sie versteht den Wink und beantwortet die Fragen. Mit Sicherheit würde es meine Selbstachtung verletzen, wenn ich behandelt würde, als wäre ich unsichtbar, deshalb versuche ich, Kinder mit dem gleichen Respekt wie Erwachsene zu behandeln.
Zeitpläne
Manchmal ist Kelsey so in ihrem Spiel versunken, daß sie keine Lust hat, mit mir das Haus zu verlassen und Besorgungen zu machen oder sie fühlt sich woanders so wohl, daß sie nicht ins Auto steigen und nach Hause fahren will. Da Kinder vor allem anderen ein Teil der gemeinsamen Aktionen sein wollen, reicht es normalerweise, wenn ich sage: „Ich bin fertig, hol’ bitte Deinen Mantel (oder Buch oder was auch immer)“. Manchmal bewegt sie sich nicht bis ich bereits zur Tür hinaus bin und dann stürzt sie wie wild hinterher. Es ist wichtig, daß ich nicht drängele und sage „Beeil’ Dich, mach Dich fertig!“ und daß ich nicht kontrolliere, wie weit sie ist um zu sehen, was sie macht. Ich handele einfach so als ob ich völlig davon überzeugt bin, daß sie das Richtige tun wird. Wenn ich sie anschaue, nachdem ich sie darum gebeten habe, etwas zu tun und ich normalerweise nicht in ihre Richtung schauen würde, dann kommt bei ihr an, daß ich von ihr erwarte, es nicht zu tun, und meistens tut sie es dann auch nicht! Wenn sie nicht tut, worum ich sie gebeten habe, muß ich mit meiner Stimme, dem Gesichtsausdruck und den Worten Überraschung darüber ausdrücken, daß sie noch nicht fertig ist, nicht Ärger. Ich habe sogar schon so getan, als wäre ich bereit, sie zu Hause zu lassen und bin zur Tür hinaus zum Auto gegangen, als sie dann rief: „Warte auf mich, ich komme!“ Manchmal ist sie so beschäftigt mit Spielen und sagt: „Geh’ ruhig ohne mich, ich bleibe zuhause.“ Ich sollte in der Lage sein, dies zu tun, sie mit einem anderen Erwachsenen oder älteren Kind im Haus zu lassen. Leider ist unsere familiäre Situation nicht so und ich habe ein ungutes Gefühl dabei, sie ganz allein zu Hause zu lassen. Also sage ich: „Ich kann Dich nicht alleine zu Hause lassen, komm mit.“ Wenn sie antwortet „Nein, ich will hierbleiben“, sage ich ruhig „Du kannst entweder laufen oder ich trage Dich zum Auto“. Ja, das ist feindselig, deshalb versuche ich, Besorgungen zu solchen Tageszeiten zu planen, wo sie Lust hat, das Haus zu verlassen. Oder ich frage ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ob sie herüberkommen und auf die Mädchen aufpassen will, während ich einkaufe.
Wenn ich Ihnen sage, daß es Zeit ist, nach Hause zu fahren, fragen sie vielleicht „Warum?“ und dann sage ich „Weil es Zeit ist, nach Hause zu fahren“ in einem Ton, der unterstellt, daß es sich hier um eine Tatsache wie die-Erde-ist-rund handelt und sie es nur für eine Minute vergessen haben. Normalerweise funktioniert das. Wenn nicht, und wenn es sich ohne Risiko machen läßt, gehe ich in Richtung Auto und verhalte mich ganz so, als würde ich ohne sie wegfahren. Nur wenn alles nichts nützt bringe ich die Version „Gehen oder getragen werden“, aber bisher war dies nur ein- oder zweimal notwendig. Es war eine große Hilfe, feste Termine auf ein Minimum zu reduzieren, was ihnen viel Zeit für unbeschränktes Spielen ließ. Außerdem versuche ich, eine halbe Stunde mehr einzuplanen, wenn ich mit ihnen irgendwo planmäßig hingehe, sodaß ich mich nicht gehetzt fühle, denn das führt häufig dazu, daß ich feindselig reagiere.
Verschütten und Unordnung
Im Alter von ein bis zwei Jahren ließ Kelsey häufig ihren Teller mit Essen fallen oder verschüttete ihr Getränk. Das war eines der ersten Probleme, für die uns das Continuum Concept eine Lösung lieferte. Jean lehrte uns, daß Kinder vertrauensvoll unsere Erwartungen erfüllen, aber als Eltern vermitteln wir oft Erwartungen, die wir eigentlich garnicht wollen. Zum Beispiel, wenn ich sage „Verschütte Deine Milch nicht“ vermittle ich, daß ich von ihr erwarte, daß sie ihre Milch verschüttet, und ehe man sich versieht passiert es dann auch ziemlich schnell. Genauso wie bei „Sei vorsichtig oder Du schneidest Dich“, „Paß’ auf, daß Du nicht fällst“, „Sei nett zu Deiner Schwester, während ich weg bin“. Sobald wir stattdessen Aussagen machten wie „Schieb’ Deine Milch vom Tischrand weg“, „Stell’ Dein Glas vor den Teller“, „Die Schere ist scharf“, „Komm’ weg von der Kante“, „Hilf’ Meg dabei, Sachen zum Spielen zu finden“, staunten wir, wie viele Probleme einfach verschwanden. Wenn Unfälle mit Essen oder Trinken passieren, sage ich ruhig „Der Lappen ist auf dem Spülbecken“ und sie hat mich oft genug dabei beobachtet, wie ich „Unfälle“ beseitigt habe, sodaß sie weiß, was zu tun ist. Natürlich helfe ich manchmal, wenn ich sicher gehen will, daß es ordentlich gemacht wird. Wenn ich nicht so vorschnell mit Schuldzuweisungen und Tadel bin oder losschimpfe und sie stattdessen aufmerksam beobachte, sehe ich, daß sie sich wirklich über das Chaos ärgert, das sie angerichtet hat, weil sie weiß, was man eigentlich von ihr erwartet, weil sie das Richtige tun will und mir gefallen will. Kleine Kinder haben nicht die Erfahrung wie wir, Unfälle vorauszusehen oder das Bewußtsein darüber, wo sich die einzelnen Teile ihres Körpers immer gerade befinden, Unfälle sind daher unvermeidbar, während sie alles über die physische Umwelt lernen (Wie furchtbar, wenn ich perfekt sein müßte, während ich eine neue Fertigkeit übe! Ich würde jedesmal versagen). Sobald ich, statt ihr Verhalten zu kritisieren, mich zu ihrer Verbündeten machte (indem ich ihr ruhig die Informationen gab, die sie brauchte, um selbst mit ihren Unfällen umzugehen), verbesserte sich unser Verhältnis praktisch über Nacht um 100% und meine Tage verliefen viel ruhiger und friedlicher. Ein weiterer Vorteil ist, daß Kelsey inwischen Expertin im Beseitigen von verschüttetem Essen und Trinken geworden ist, ihre Unfälle beseitigt und mir dabei hilft, Meg’s Unfälle zu beseitigen. Sie versucht sogar, Meg beizubringen, wie man aufwischt.
Spielsachen
Normalerweise wurde ich ärgerlich, wenn Kelsey Meg Spielzeug wegnahm und ihr stattdessen etwas anderes zum Spielen gab. Aber als ich sie fragte, warum sie das tat, sagte sie: „Sie könnte es verschlukken“, „Sie hat daran gekaut“ oder „Sie hätte es zerbrochen“. Mir wurde klar, daß Kelsey mein Verhalten imitierte, da ich oft dasgleiche tat! Schwierig, sich darüber zu ärgern.
Schlafengehen
Als Kelsey zwei Jahre alt war, hatte sie Schwierigkeiten, abends ins Bett zu gehen. Mein Mann und ich lagen bereits im Bett und waren kurz vor dem Einschlafen und sie turnte auf uns herum. Anfangs habe ich sie nur neben dem Bett auf den Boden gesetzt (mehr braucht es nicht bei unserer 19 Monate alten Tochter. Obwohl sie selbst in das Bett zurückklettern kann, fängt sie sofort an zu weinen, wenn sie auf den Boden gesetzt wird. Nach 10 Sekunden hole ich sie wieder ins Bett und sie beruhigt sich und schläft ein). Als unsere Älteste jedoch 2 Jahre alt war, lachte sie nur und sprang wieder ins Bett zurück. Danach haben wir sie aus dem Raum getragen. Als Nächstes haben wir sie ans andere Ende des Hauses gebracht, aber sie folgte uns einfach wieder zurück ins Bett. Schließlich haben wir sie aus dem Schlafzimmer gebracht und die Tür verschlossen. Sie konnte überall hingehen, nur nicht ins Schlafzimmer. Sie fing an zu heulen und nach ein oder zwei Minuten ließen wir sie herein (nachdem sie versichert hatte, daß sie bereit wäre, einzuschlafen. Wenn sie wieder mit Herumspielen anfing, brachten wir sie wieder hinaus und verschlossen diesmal die Tür für eine etwas längere Zeit. Nach zwei Nächten mit diesem Programm hörte sie mit dem Spielen auf und schlief ohne Probleme ein. Es war sehr wichtig, daß wir sie sanft aus dem Zimmer trugen, sie nicht anschrien bzw. überhaupt nichts dazu sagten. Kinder sind schlau – wir brauchen ihnen nicht öfter als einmal zu sagen, warum wir etwas tun, aber wenn wir etwas wiederholen, erweckt dies den Anschein, als wären wir unsicher oder es wird ein Spiel daraus. (Das funktioniert gut mit der ganzen Familie. Sobald das Essen fertig ist, sage ich allen einmal Bescheid, dann setze ich mich und fange an zu essen. Keine ständigen Wiederholungen mehr von „Essen ist fertig, kommt Ihr endlich!“)
Wutanfälle
Immer wenn Kelsey übermäßig aufgeregt war (weinen, mit den Füßen stampfen, mit den Armen fuchteln), lag es entweder daran, daß sie irgendetwas nicht bewältigen konnte (einen Reißverschluß zumachen, einen Knopf aufknöpfen, eine Puppe anziehen, einen Schuh anziehen) oder sehr müde war. Durch die Anwendung der Continuum Prinzipien bin ich so auf sie eingespielt, daß es in der Regel leicht fällt zu erkennen, was die wirklichen Bedürfnisse sind, wenn ich mir nur die Zeit nehme, genau hinzuschauen. Wir haben Gefühlsausbrüche schnell beendet, indem ich ihr bei der Schwierigkeit half oder sie auf den Arm nahm, bis sie sich beruhigt hatte und sie dann ins Bett brachte. Megan dagegen wird frustriert, wenn sie etwas nicht haben kann und in ihrem Entwicklungsstadium (sie fängt gerade an zu sprechen) hilft am besten Ablenkung. Wenn sie also etwas vom Küchentisch nimmt, das ich brauche und ihr wieder wegnehme, gebe ich ihr stattdessen etwas anderes (einen großen Löffel, Meßbecher etc.), was eventuelle Wutausbrüche meist im Keim erstickt. Sie sind beide so vorhersagbar, daß es sich lohnt, aufmerksam zu verfolgen, was sie gerade versuchen oder wie müde sie sind um unkontrollierte Wutausbrüche zu vermeiden, die ansonsten zu weitaus größeren Schwierigkeiten und Beunruhigungen für sie werden können.
Wenn Du ärgerlich wirst, versuche, die Situation anstatt aus deiner Sicht aus der Sicht des Kindes zu betrachten. Warum verhalten sie sich so? Was versuchen sie zu tun? Was beunruhigt sie?
Hindernisse für angemessenes Verhalten
Müdigkeit, nicht genug Bewegung und Sport, mangelhafte Ernährung, nicht genug Kontakt zu anderen Erwachsenen, Mangel an Unterstützung, unvorbereitet mit Situationen konfrontiert werden und nicht zum „schauspielen“ bereit sein, die persönlichen Einstellungen (zu den Kindern, zu ihren Fähigkeiten, zu mir selbst, was mir wichtig ist (sauberes Haus?)), darauf achten, was andere sagen. Wir Erwachsenen sind auch soziale Wesen und wollen die Erwartungen unserer Freunde und Familie erfüllen, gerade so wie Kinder unsere Erwartungen erfüllen wollen. Es ist hart, wenn die Erwartungen anderer nicht mit dem übereinstimmt, was wir uns vorstellen.
Zehn Hilfen zu angemessenem Verhalten
- Schlechtes Benehmen vorhersehen und bereit sein, zu handeln, wenn es auftritt
- Den Haushalt umgestalten: mögliche Unfallursachen beseitigen, Zerbrechliches und hochgeschätze Gegenstände außer Reichweite bringen oder entfernen, Mülleimer hochstellen etc.
- Es den Kindern leicht machen: Stühle an jedem Waschbecken, ihnen zeigen, wie man den Kühlschrank öffnet und dabei die andere Hand als Stütze verwendet, Imbiß in Reichweite haben, Getränke in kleinen Gefäßen, die sie selbst öffnen können, Plastikgeschirr und Besteck in Reichweite, Kleider in erreichbarer Höhe etc.
- Nur Essen und Getränke im Haus haben, die sie ohne Bedenken jederzeit zu sich nehmen können (d.h. Schleckereien o.ä. abschaffen). Wasser als Getränk reichen, da es nicht so schlimm ist, wenn es über Leute, den Fußboden oder Tische verschüttet wird.
- Auf Taten, nicht auf Worte achten. Das gilt für beide Seiten. Manchmal, wenn ich meine Tochter bitte, etwas zu tun, sagt sie „nein“ und macht dann unverzüglich das, worum ich sie gebeten habe. Ich muß meinen unmittelbaren Drang, auf ihre Worte zu reagieren, unterdrücken und stattdessen auf die Handlung achten. Andererseits wirken mein Tonfall, die Lautstärke, Gesichtsausdruck und Körpersprache viel stärker auf die Kinder als die Worte, die ich sage. Als Neugeborene fing Meg an zu weinen, wenn ich Kelsey oder den Hund anschrie. Sie konnte zwar die Worte nicht verstehen, aber sie wußte, daß Tonfall und Lautstärke nicht stimmten. Kinder nehmen zuerst Tonfall und Gesichtsausdruck wahr, Worte als letztes, wenn überhaupt.
- Als ich einmal wütend auf Kelsey wurde und sie anschrie, schaute ich zufällig in einen Spiegel und war geschockt, wie furchtbar und furchteinflößend das Gesicht aussah, das meine Tochter ansah. Das hat mich so wirksam aus meiner Bahn geworfen, daß es jetzt meist ausreicht, in einen Spiegel zu schauen, wenn ich das Gefühl habe, vor Wut gleich explodieren zu müssen… Dieses gruselige Monster wollen wir nicht im Haus haben!
- Humor hat uns oft geholfen. Wenn Kelsey mich austestet, indem sie etwas tut, was ich nicht mag und von mir eine Antwort darauf erwartet, tue ich manchmal so, als wäre das ein Witz. Als ihre Schwester geboren war, wollte sie ständig an die Brust. Wenn der Ton, in dem ich „nein“ sagte, verriet, daß ich genervt war, würde sie weiter bohren, zu weinen anfangen etc. Wenn ich lachend „nein“ sagte, als ob es ein Witz wäre, soetwas überhaupt zu fragen, würde sie auch anfangen zu lachen! Ende der Auseinandersetzung. Ich war wirklich erstaunt, wie das Aussprechen ein und desselben Wortes in unterschiedlichem Tonfall zwei völlig verschiedene Ergebnisse verursachte! Achte darauf, wie aus dem erwartungsvollen Gesichtsausdruck Deines Kindes ein Lachen wird, wenn sie mit Dir darüber lachen, wie komisch es ist, soetwas zu versuchen.Manchmal stelle ich mir vor, sie würde mich etwas Lächerliches fragen, wie sich die Haare lila färben, anstelle von etwas Vernünftigem aber Nervigem, wie ob sie fernsehn darf. Das hilft mir, die Frage humorvoll anzugehen!
- Sich nicht verpflichtet fühlen, auf jede Frage, Bemerkung, Gefühlsregung oder Handlung einzugehen. Manchmal ist es am besten, das Kind höflich zu ignorieren oder in einen anderen Raum zu gehen. Meine Gegenwart oder Einmischung gießt möglicherweise noch „Öl auf’s Feuer“ und ohne meine Einmischung regeln sich die Dinge weit schneller.
- Sich entschließen, auf etwas nicht einzugehen. Erinnern wir uns, daß andere Leute uns auch nicht so einfach belästigen / nerven / frustrieren können. Wir entschließen uns, diese Gefühle zu haben und wir können uns genausogut vornehmen, andere Gefühle zu erleben. Meistens braucht es dazu „nur“ eine Änderung unserer Gewohnheiten. Eines meiner beliebtesten Sprichworte stammt von Epictetus: „Nicht die Dinge beunruhigen den Menschen, sondern die Sichtweise, mit der er die Dinge betrachtet“. Es kann sehr befreiend sein, sich vorzunehmen, nicht immer negativ zu reagieren. Ich arbeite beständig daran und finde es leichter, es bei anderen Erwachsenen anzuwenden, bevor es ganz natürlich auch bei meinen Kindern klappt. Mir hilft es, wenn ich mich etwas von einer Situation distanziere und mich beobachte, wie ich reagiere, anstatt mich hitzig ins momentane Getümmel zu stürzen. Und ehrlich gesagt, 99% der Dinge, über die ich mich aufrege, sind unwichtig, vor allem, wenn man sie am Selbstwertgefühl eines Kindes mißt.
- Meine Erwartungen an das Entwicklungsstadium des Kindes anpassen. Zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr lernen sie die Feinheiten und Schattierungen von angemessenem Verhalten. Sie können in der Badewanne plantschen, aber nicht im Hundenapf. Ich reiße Coupons aus der Zeitung, aber den Rest der Zeitung sollen sie nicht zerreißen. Man nimmt ein Taschentuch aus der Packung und nicht eine ganze Hand voll. Dreckiges Geschirr kommt in den Geschirrspüler, sauberes heraus. Schmutzige Wäsche kommt in den Korb und wird dann gewaschen, saubere Wäsche kommt in den Korb und dann in Schubladen und Schränke. Bestimmtes Verhalten ist zu bestimmten Tageszeiten oder bei bestimmten Gelegenheiten erlaubt (oder erwartet), zu anderen Zeiten nicht. Das ist eine Menge zu behalten, wenn man gerade laufen gelernt hat und gleichzeitig dabei ist, das Sprechen zu lernen. Kinder sind niemals schlecht, aber ihr Verhalten ist manchmal fehlerhaft, weil sie lernen. Ich betrachte dieses Stadium (zwischen ein und zwei Jahren) oft als Forschungssemester. Mein kleiner Leonardo da Vinci bemerkt, daß Bücher, Zeitungen und Papier sich unterschiedlich verhalten, wenn sie runterfallen! Manche Dinge rollen, andere nicht. Manche Dinge schmecken gut und sind eßbar, andere schmecken weniger gut und sollten nicht gegessen werden. Manchmal ärgere ich mich über mich selbst, wenn ich ein großes Durcheinander durch ein bischen Nachdenken hätte verhindern können. Zum Beispiel, ein gefülltes Glas auf dem Tisch in Reichweite eines Babies im Forscherstadium stehen lassen.
Kinder machen alles nach, Gutes und Schlechtes, und die Muster, die sie entwickeln, während sie klein sind, können das ganze Leben an ihnen haften. Wenn ich schlage, schlagen sie auch. Wenn ich vor Wut brülle, werden sie es auch. Wenn ich fluche, tun sie es auch. Wenn mich ihr Verhalten stört, brauche ich nur mich selbst zu beobachten und in der Regel finde ich hier die Ursache dafür. Wenn ich mit Ärger und Enttäuschung gut umgehe, werden sie auch das lernen. Kinder sind eine hervorragende Mahnung und ein Spiegel für unser Verhalten, wo wir oft nicht fähig sind, es objektiv zu betrachten.
Ich möchte gerne eine Anekdote erzählen, die in schöner Art und Weise veranschaulicht, wie Erwartungen wirken. Eines Tages spülte ich mit meiner dreijährigen Tochter, sie wie üblich auf ihrem hohen Stuhl neben mir am Spülbecken. Seit neuestem möchte sie alle kleinen Sachen selbst spülen. Diesmal waren dies neben einigen Löffeln und Silberbesteck auch drei Glasschälchen. Ich war nervös deswegen, sagte aber nichts und sie füllte und leerte sie vorsichtig die ganze Zeit, während ich die großen Sachen spülte. Als ich fertig wurde, stellte sie eins davon mit einem Klirren ab und nahm ein anderes. „Sanft!“ sagte ich, so zurückhaltend, wie ich konnte. Genau in diesem Moment öffnete sie ihre Hand und das Schälchen zerbrach im Spülbecken. Sie war so unglücklich und mir tat es so leid! Wenigstens habe ich endgültig gelernt, meine Vorbehalte für mich zu behalten, denn sie auszusprechen ist keine große Hilfe!
Rena Kessem, Israel
Übersetzung: Claudia Freyer
Die Fußnoten für die Seiten 1 und 3 sind Anmerkungen der Übersetzerin:
- Hiermit ist gemeint, daß man sich nicht für seine Entscheidungen entschuldigen soll, wenn man z.B. etwas ablehnt. Wer sich entschuldigt, fühlt sich schuldig. In ihrem Buch Liberated Parents – Liberated Children schreiben Faber/Mazlish: „…es wird uns Eltern kaum gelingen, uns vor Schuldgefühlen zu bewahren, aber wir können uns sagen: ‘Ich darf nicht zulassen, daß mein Kind davon erfährt; es ist zu gefährlich – für uns alle. Wenn ein Kind die Macht erhält, in uns Schuldgefühle wachzurufen, ist das, als würden wir ihm eine Atombombe aushändigen. Wie Roslyn richtig bemerkt hat, fühlt sich ein Kind, das in seinen Eltern Schuldgefühle erzeugt, selbst schuldig. Und wissen Sie, welches Gefühl wir letztlich gegenüber Menschen empfinden, die in uns Schuldgefühle hervorrufen? Es ist Haß. Wenn wir Schuldgefühle zulassen, öffnen wir dem Haß die Tür.’ An einer anderen Stelle heißt es: „…die Frage ist: Was fangen wir mit unseren Schuldgefühlen an? Wieder gibt es Alternativen. Wir können mit anderen darüber reden – mit Freunden, dem Partner, einer Gruppe wie dieser hier, einem Pastor, einem Rabbi, einem Geistlichen, einem Therapeuten – mit jedem, der bereit ist, uns zuzuhören, ohne zu urteilen. Und wir können mit uns selbst sprechen. Wir können uns sagen ‘Ich kann meine Schuldgefühle ohne die Hilfe meiner Kinder verarbeiten. Ich brauche ihre Vergebung nicht. Ich brauche kein von einem kleinen Kind. Es reicht, daß ich mich entschließe, es das nächste Mal besser zu machen.’
- Wenn wir einem Kind einen Gefallen tun, obwohl wir es eigentlich nicht wollen, dann bringen wir ein Opfer oder zumindest sind wir in irgendeiner Weise unzufrieden, auch wenn wir es vor uns selbst nicht zugeben. Kinder merken das sofort. In dem Buch Liberated Parents – Liberated Children schreiben Faber/Mazlish: ‘Das Wohlbefinden eines Kindes sollte niemals mit Leiden der Eltern erkauft werden. Der Preis ist zu hoch für beide Seiten. Die Eltern bezahlen mit ihrer Gesundheit oder ihrem guten Willen, und das Kind bezahlt auf andere Weise. Was geht in einem Kind vor, wenn es etwas auf Kosten seiner Eltern erreicht hat? Es sagt sich (in dem Beispiel im Buch) < Ich habe meine Mutter dazu gebracht, mir einen Hund zu kaufen. Meine Mutter hustet und wird krank deswegen (sie hat eine Allergie). Ich bin ein furchtbarer Mensch. Ich habe Angst!…Wenn Kinder merken, daß wir wegen ihnen leiden, fühlen sie sich automatisch verantwortlich. Unser Leiden (oder unsere Unzufriedenheit) erzeugt in ihnen Angst und Schuldgefühle (und daraus wird dann oft Wut und Haß).’ Wichtig in diesem Zusammenhang ist daher, sich darüber im Klaren zu sein, ‘ob das Kind etwas wirklich braucht oder nur wünscht. Es ist nicht immer einfach, das zu unterscheiden. Ein Kind hat viele echte Bedürfnisse, welche erfüllt werden können und sollten. Seine Wünsche jedoch sind ein Faß ohne Boden’. Und weiter unten heißt es im selben Buch: ‘Wenn wir es zulassen, daß ein Kind erlebt, wie wir etwas seinetwegen ertragen, tun wir ihm damit keinen Gefallen. Wir lehren sie durch unser Vorbild, wie man sich nicht selbst schützt. Wir lehren sie, wie Schwäche funktioniert anstatt Stärke.’
- In einem der Bali-Videos gibt es eine Szene, wo ein Krabbelkind unbedingt die Karten haben will, mit denen eine Gruppe von Kindern spielt. Nach anfänglichen Versuchen, das Spiel fortzusetzen, geben die Kinder schließlich auf, überlassen dem Baby die Spielkarten und spielen etwas anderes (der Klügere gibt nach)! Nach kurzer Zeit der intensiven Erforschung sind die Spiel-karten dann auch für das Baby uninteressant. Mit gefällt daran, daß die größeren Kinder den Forschungsdrang des Babies selbst-verständlich akzeptieren und nicht ihr Bedürfnis nach einem bestimmten Spiel als wichtiger ansehen. Wir sind so daran gewöhnt, effektiv und zielorientiert zu arbeiten, daß uns Unterbrechungen offen-sichtlich schwer fallen und auch das imitieren Kinder in ihrer Art zu spielen. Ich bemühe mich ständig, meine Flexibilität in dieser Hinsicht zu erhöhen und stelle fest, daß ich dadurch viele Aktivitäten gelas-sener angehe, sie nicht mehr so wichtig nehme, mehr in der Gegenwart lebe und mir viele Ablenkungs-manöver ersparen kann. Und meistens dauert das Interesse meiner Tochter nicht allzulange an, sodaß ich die Tätigkeit bald danach wieder fortsetzen kann.